das Magazin vom Vogelnetzwerk


Ausgabe 4
Juni 2002
 

 
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Zielorientiertes "Sprechen" bei einer Blaustirnamazone
von Volker

 
Vorbemerkung:

Zu den kognitiven Fähigkeiten der sog. Großpapageien -zu denen auch das "Sprechen" (Nachahmen von Lauten, Worten oder ganzer Sätze) gehört- gibt es in der ohnehin schon spärlichen Quell-Literatur die unterschiedlichsten Mutmaßungen, Feststellungen und Aussagen. Während Lantermann -Lantermann, W. (1987): Die Blautirnamazone, Walsrode- "Lautäußerungen, derer die Blaustirnamazone fähig ist, (...) stets als sinnloses, spötterhaftes Nachahmen häufig gehörter Laute, allenfalls aufgrund immer wiederkehrender Ereignisse in situativer Verknüpfung (...)" beschreibt, berichtet Schmidt -Schmidt, H. (1978): Sprechende und nachahmende Vögel, Minden- von durchaus zielorientiertem "Sprechen". Ähnliche Aussagen trifft, wenn auch auf den Graupapagei bezogen Strassen -Strassen, O. zur (1953): Zweckdienliches Sprechen beim Graupapgei, Verb. Dt. Zoolog. Ges. 84-89, Freiburg-. Generalisierend schreibt de Grahl -Grahl, W. de (1990): Papageien, Stuttgart- "Der Papagei gibt Gehörtes wieder oder verbindet bestimmte Situationen mit Worten oder anderen Geräuschen". Die unterschiedlichen Qualifizierungen der kognitiven Fähigkeiten von Papageien (hier: Amazona aestiva) die wohl auch innerhalb der Art (Unterart) individuell variieren, haben mich veranlasst, über meine diesbezüglichen Beobachtungen zu berichten.

Auffallend ist, dass in der uns verfügbaren "Papageien-Literatur" nur selten (zuweilen überhaupt nicht) auf grundlegende Veröffentlichungen zur Biologie, Ethologie und Psychologie zurückgegriffen wird und viele Publikationen zu (Teil-)Bereichen des "Papageien-Verhaltens" die allgemeinen Erkenntnisse der Grundlagenforschung unberücksichtigt lassen.

Ohne sorgfältige Auswertung aller an der Thematik beteiligten sektoralen Aspekte (u.a. Auslösemechanismus, Konditionierung, Schlüsselreiz, adaptive Modifikationen etc.) ist keine sich den Gegebenheiten wirklich annähernde Einschätzung der "Sprechleistung" zu treffen.

Daher habe ich meine Methodik darauf konzentriert, die Objektbeobachtungen in den Kontext der allgemein anerkannten Grundlagenliteratur einzuordnen und auszuwerten. Auch diese Methodik garantiert nicht per se, dass subjektive ("vermenschlichende") Einschätzungen gänzlich auszuschließen sind, bietet jedoch die geeignetste Plattform, diese auf ein Minimum zu reduzieren.


Daten zum "Beobachtungsobjekt"

Bei dem "Beobachtungsobjekt" handelt es sich um eine Blaustirnamazone (Amazona aestiva) mit einem Alter von ca. 18 Jahren. Die Amazone wurde von Hand aufgezogen und dementsprechend "fehlgeprägt", d.h. eine Sozialisierung im Artverband fand -wenn überhaupt- nur sehr marginal statt. Bis vor eineinhalb Jahren wurde die Amazone vom Vorbesitzer als Einzelvogel gehalten.. Sie ist jetzt mit einer weiteren Amazone in einer Zimmervoliere mit täglichem Freiflug vergesellschaftet. Eine Geschlechtsbestimmung (Endoskopie oder DNA-Analyse) erfolgte bisher nicht.. Es sprechen einige Indizien (u.a. Kopfform /Anmerkung: kein zweifelsfreies Bestimmungsmerkmal) dafür, dass es sich um ein weibliches Exemplar handeln könnte. Das Geschlecht dürfte jedoch hinsichtlich der Thematik keine Rolle spielen, da nichts auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit den kognitiven Fähigkeiten hindeutet.

Grundvoraussetzungen des "Sprechens" bei Amazonen

Erste Voraussetzung
Die physische Möglichkeit zur Modulation von Lauten der menschlichen Sprache. Diese Möglichkeit ist nachweislich gegeben und bedarf keiner näheren Erörterung.

Zweite Voraussetzung:
Kontakt mit menschlicher Sprache.(ob real oder auf Tonträger) und die Fähigkeit der Aufnahme und Wiedergabe des Gehörten. Die Aufnahme und Wiedergabe des Gehörten setzt -soll das Gehörte direkt oder zu einem Zeitpunkt "X" repetiert werden- eine Speicherung voraus. Dies bedingt notwendigerweise das Vorhandensein eines Speichermediums. Als Beispiel für eine mechanische Speicherung (ohne "Einsichts- oder Erkenntnismöglichkeit") kann das Besprechen eines Tonbandes mit einem beliebigen Wort dienen. Das Wort ist auf Band gespeichert und kann durch Knopfdruck abgerufen werden. Die Leistung einer Amazone ein Wort zu speichern und zielgerichtet abzurufen bedingt das Vorhandensein eines sog. "Offenen Programms". Konrad Lorenz definiert das Offene Programm als "ein(en) kognitiven Mechanismus, der imstande ist, nicht im Genom enthaltene Informationen (...) nicht nur zu erwerben, sondern auch zu speichern". Die Amazone ist nachweislich in der Lage, nicht im Erbgut verankerte Informationen (wie beispielsweise Sequenzen menschlicher Sprache) zu speichern und unmittelbar oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzurufen.

Warum "spricht" die Amazone?

Die Amazone ist also in der Lage, Wörter aufzunehmen, zu speichern und wiederzugeben. Schon dies ist eine bemerkenswerte kognitive Leistung. Aber warum ahmt der Vogel menschliche Wörter oder Sätze nach?

Spielerisches - nicht zielfixiertes- "Sprechen":
Bei einer seit mehr als zwanzig Jahren von uns gehaltenen Blaustirnamazone, bei der wir definitiv eine bewusste Konditionierung im Sinne des "Beibringens" von Wörtern oder Sätzen ausschließen können, kam es dennoch auch ohne unser Zutun zum Nachahmen häufig gehörter Worte bzw. Wortkombinationen, die meist (jedoch nicht ausschließlich) von der Amazone unmittelbar "nachgesprochen" werden. Beispiel: "Komm mal her!" Es handelt sich hierbei erkennbar weder um ein sogenanntes "Lernen durch Erfolg" (conditioning by reinforcement), noch eine arterhaltend sinnvolle Modifikation des Verhaltens. Das "Nachsprechen" hat in diesem Fall keinerlei reaktive Entsprechung durch beispielsweise eine Belohnung (Futtergabe o.ä) und läuft in`s Leere. Auch ist in vorgeschildertem Fall das Nachahmen mit keiner bestimmten Situation verknüpft, die als Auslöser angesehen werden könnte. Initial ist einzig der Gebrauch dieser Wortkombination. Eine Erklärung für scheinbar -oder tatsächlich(?)- sinnloses, nicht situatives "Nachsprechen" könnte darin zu sehen sein, dass "Singvögel und Papageien (...) in gewissen Altersstufen eine deutliche Appetenz nach prägnanten, im Bereiche ihrer Nachahmungsfähigkeit liegenden Lautgestalten (haben)" -Lorenz, K. (1977): Die Rückseite des Spiegels, München-. Offen bleibt allerdings die Frage, woher diese Appetenz rührt. Eine mir logisch erscheinende Erklärung ist, dass es sich bei erwähntem "sinnlosem Nachsprechen" um ein rein exploratives Austesten vorhandener Fähigkeiten im Sinne des Neugierverhaltens handeln könnte. Das "Neugierverhalten" manifestiert sich darin, das Appetenzverhalten so zu generalisieren, dass nicht die Auslösesituation einer ganz bestimmten triebbefriedigenden Endhandlung sein Ziel ist, sondern die Lernsituation als solche. Mit anderen Worten: Lernen als Selbstzweck. Die Amazone testet sozusagen ihre vorhandenen Möglichkeiten zur Nachahmung (Nachbildung menschlicher Laute) "spielerisch" aus, ohne auf eine Endhandlung (wie beispielsweise: Paarung, Nahrungsaufnahme etc.) fixiert zu sein.

Zielorientiertes "Sprechen":
Völlig anders verhält es sich mit der Nachahmung von Worten oder Sätzen, wenn damit verifizierbar das Erreichen(wollen) eines bestimmten Zieles verbunden ist. Das Beobachtungsobjekt (vgl. Daten zum Beobachtungsobjekt) wurde vom Vorbesitzer durch ständiges "Vorsprechen" des Wortes "Leckerli" (Leckerbissen) in Verbindung mit dem Anbieten eines besonderen Leckerbissens zum "Nachsprechen" des betreffenden Wortes mit anschließender Erfolgsgewährung (=Verabreichung des Leckerbissens) animiert bzw.
konditioniert Der Erfolg wirkt als das, was man im allgemeinen "Belohnung" nennt. Die englische Literatur bezeichnet alles, was in dieser Art zur Verstärkung oder zur "Andressur" führt, als "Reinforcement".

Die betreffende Amazone ist also ,da sie die vorgeschilderten Verhaltensweisen - in sogar noch komplexeren Variationen - in unserer Obhut wiederholt, in der Lage "zu Protokoll zu nehmen" oder zu "erinnern", welche Form der Ablauf der einleitenden Handlungsglieder genommen hat, und diese Erinnerung mit dem rückgemeldeten Erfolg in Beziehung zu setzen. Der rückmeldende rezeptorische Apparat muss ähnliche Leistungen vollbringen, wie ein angeborener Auslösemechanismus. Es handelt sich also keineswegs um einen einfachen "Reflex" im Sinne der Pawlow`schen Terminologie.

Die Amazone "benutzt" das ihr im Zusammenhang mit Leckerbissen "erinnerliche" Wort "Leckerli" eigenständig (d.h. ohne entsprechende "Vorsprache") und aktiv mit dem Endziel des Erhaltens eines Leckerbissens (siehe nachstehende Darstellung)

 
Die Amazone sieht auf dem unweit der Voliere befindlichen Esstisch einen leeren Teller. Es erfolgt keine (Re-)Aktion.
Der Teller wird gefüllt. Die Amazone reagiert mit motorischer Unruhe (Klettern am Volierengitter -zumeist in Blickrichtung des Tisches-). Oft erfolgt schon in dieser Anordnungsphase das "Sprechen". Führt der einmalige Gebrauch des Wortes "Leckerli" nicht zum Erfolg, kommt es zu Wiederholungen.

Werden von Person A und/oder Person B "Ess-Bewegungen" ausgeführt, wirkt dies nochmals verstärkend auf das Verhalten der Amazone. Zumeist in dieser Phase (zuweilen aber auch schon in Phase 2) treten zum "Wortgebrauch" Bettelbewegungen (wiederholtes Auf- und Abklappen der Flügel) hinzu.
 
Vorausetzung für den zielgerichteten Einsatz eines nachgeahmten Wortes oder Wortgefüges dürfte mit einiger Sicherheit die vorhergehende "Andressur" (Konditionierung) im Sinne der "Begreifbarmachung" des Zusammenhanges (in diesem Fall die Verknüpfungsvariante LECKERLI = LECKERBISSEN) sein. Wobei erstaunlich ist, dass die Amazone auch den umgekehrten Verknüpfungsweg ("Erkennen" des Leckerbissens = gefüllter Teller) und anschließender Einsatz des Wortes "Leckerli" zum Erreichen des erkannten Zieles anzuwenden in der Lage ist.

Die Gesamtheit des zielgerichteten "Sprechvorganges" lässt sich eindeutig dem Appetenzverhalten zuordnen. Appetenzverhalten ist "zielstrebig" in dem Sinne, dass es den Ablauf einer Endhandlung oder das Erreichen einer Endhandlung als Ziel anstrebt (z.B. Sättigung). In der modernen Ethologie unterscheidet man zwei (eigentlich drei) Phasen des Appetenzverhaltens:

Erste Phase:
Bewegungsunruhe > Suchen

Zweite Phase:
Gerichtete Annäherung > nimmt das Tier den Gegenstand seines Suchens wahr, so versucht es, ihn zu erreichen

Dritte Phase:
Endhandlung

Das in der ersten Phase beschriebene (stimmungsabhängige) Suchverhalten führt schließlich zum Auffinden eines Schlüsselreizes (in diesem Fall: Optische Wahrnehmung eines Futterpotentials = gefüllter Teller) unter dessen Einfluss das "Sprechen" (= Gebrauch des Wortes "Leckerli") ausgelöst wird (Auslösemechanismus).

Zusammenfassung:

Die von mir über den Zeitraum von ca. einem Jahr beobachtete Blaustirnamazone (vgl. Daten zum Beobachtungsobjekt) ist in der Lage, ein ankonditioniertes Wort zur Erreichung eines bestimmten Zieles einzusetzen. Hierzu ist eine relativ hoch entwickelte, komplexe und zugleich differenzierte sensorische "Ausstattung" erforderlich. Ohne das Vorhandensein eines komplexen "Apparates" könnte es nie zu der beschriebenen Rückkopplung (Fulguration) kommen, die den Erfolg auf das vorangegangene Verhalten rückwirken lässt und die u.a. das Wesen der bedingten Reaktionen im engeren Sinne ausmacht.

 

 

 
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